Srsly, ich habe aufgrund o.g. Freunde bei Diskussionen über die Arbeit erzählt bekommen wie da auf Sachbearbeiterebene gearbeitet wird. Die sagen selbst, dass in der Breite das Klischee vom chilligen Job in der Kommunalverwaltung zwar nicht auf alle zutrifft, aber in der Breite doch durchaus seine Berechtigung hat. Die jungen Menschen mit Ideen werden von den Boomern und den Fortschrittsverhinderern/Risikovermeidern ausgebremst, und selbst wenn sie ein paar Stufen in der Karriereleiter nach oben machen ändert sich die Grundsituation nicht. Die Engagierten werden verbrannt, Risikovermeidung und Befehle befolgen wird belohnt. Beförderung geht über Seniorität und nicht über Können.
Das ist menschliche Natur, ich war jetzt in einer Bundesbehörde, einer Kammer, einem "großen Mittelständler" und nun dem verlängerten Arm der kirchlichen Welt, allerdings noch Privatwirtschaft. Was du beschreibst trifft auf alle Bereiche zu, ohne jede Ausnahme, insbesondere auf der Sachbearbeiterebene. Es ist jetzt nicht so, als ob auf der operativen, ausführenden Ebene sonderlich viel Platz für Gestaltungsfreiheit herrscht, oder die Ebene(n) (abhängig von der Größe der Organisation) viel Freiraum bieten. Ich bin völlig bei dir auf Boomern und Risikovermeidern rumzutrampeln, nur kommen wir damit nicht sonderlich weit, außer natürlich das Bedürfnis nach Vergeltung in Form eines Rants zu stillen.
Meiner Meinung nach haben wir im öffentlichen Bereich andere Probleme, die unabhängig von der Digitalisierung größeren Projekten im Kontext von positiven Veränderungen im Weg stehen. Einerseits sehe ich ein Kernproblem in der Verkettung und Verflechtung der Behörden / Organisationen mit unterschiedlichsten Kompetenzen und Weisungsbefugnis, die eine standardisierte, globale Lösung fast unmöglich machen.
Für mich war das Parade-Beispiel immer noch die Grundsteuer, da kommt eine Reform auf Bundesebene die eine Kompletterhebung auslöst, die Details, was da erhoben werden muss, können aber Länder mehr oder weniger willkürlich ändern. Es gibt gemeinsame Nenner, bspw. die Abfrage von Bodenrichtwerten, Stammdaten (bspw. Flurnummern), aber kein gemeinsam geplantes Vorgehen der Länder entsprechende Portale bereitzustellen. Es gibt (meines Wissens nach) keine Möglichkeit für die zuständigen Finanzämter solche Daten selbst abzurufen, es gibt kein Speicherkonzept für die Erhebung. Selbst die Übermittlung wird ein Stückelwerk eines alten Systems, das mehr oder weniger ungetestet auf Behörden, Bürger und Organisationen geworfen wird, beim Launch in die Knie geht und Lücken hat. Sonderübermittlungen finden "auf kurzem Weg" in den Ländern auf Excel-Basis (keine .csv, sondern .xlsx-Vorlagen) oder via .PDF statt, teilweise per Fax. Wie Ämter und Kommunen Information austauschen weiß keiner so wirklich.
Was am meisten aufregt ist die intransparente Zuständigkeit: Da die Länder Dinge tun dürfen, wäre mir schon unklar, welcher Akteur (egal ob Ministerium, Bundesamt oder sonstwer) hier die Planung für eine effiziente Lösung übernehmen könnte (egal ob auf Bundes- oder Landesebene), oder überhaupt jemand irgendwas tun dürfte. Man darf ja nicht in das Ressort einer anderen Organisationseinheit eingreifen. Über allem schwebt wahrscheinlich noch irgendein Gericht, das unabhängig von der technischen Umsetzung wieder bekritteln darf, ob da was "ungerecht" gelöst wurde und das ganze Konstrukt hintenrum wieder ins Schwimmen kommen könnte. Mich würde wirklich interessieren, ob es noch jemanden gibt, der die Zuständigkeiten überhaupt begreift und sich Gedanken darüber macht, ob das nicht langsam etwas ZU komplex ist.
Der andere Faktor ist die Budgetierung (meist in Form von Ausschreibungen), iirc hat das Benrath auch häufiger angemerkt: Selbst wenn man ein Projekt umsetzen kann, dann ist die Logik von langatmigen Ausschreibungen mit zeitlich limitierten Budgets für sehr komplexe Vorgehen ein Stolperstein, dem man so in der Art in der Wirtschaft selten begegnet. Läuft das noch über Legislaturperioden hinaus, dann kann auch ein politischer Wechsel ein Unsicherheitsfaktor für Budgets sein. So zu planen ist einfach bescheuert, auch wenn man den 'rechtlichen' Rahmen abzieht. Für einen Paradigmenwechsel braucht es mehr als nur das politische Signal "soll sich ändern", sondern da müsste auch mehr Freiraum für die Umsetzung gemacht werden, damit man nicht nur Geschwindigkeit in der Umsetzung aufbaut, sondern auch auf Unvorhergesehenes reagieren kann, ohne langatmig noch mehr Abspracherunden zu drehen. In der Hoffnung, dass dann Bild & co. nicht rumheulen, welche Steuermittel da wieder für Externe verschwendet werden.
Letztlich, abhängig von dem, was hier besprochen wird: Es gibt teils auch wenig Erfahrenswerte, so mein Laienwissen aus der Bundesagentur. Die großen Bundesbehörden, bspw. die Agentur, hat das größte IT-Netzwerk Europas. Finde da mal jemanden, der gut umsetzen kann und aktuell keine Verstrickungen zu China / den USA hat, sprich komplett frei von MS und co. agieren kann.
Irgendwie müsste hier mit Zuckerbrot und Peitsche die Umsetzung erfolgen. Bspw. die alten Plattformen aus Gründen verbieten (denke da an das typische Fax für Übermittlung von Patientendaten in Krankenhäusern, die einen Rattenschwanz an uralter Technik benötigt), gleichzeitig aber Geld und EINE Standardlösung für die Umsetzung anbieten. Inklusive Budgets und Personal für die Qualifikation der Nutzer, mal am Rande erwähnt, das wird irgendwie nie bedacht: Die Leute müssen geschult werden, ohne dabei das System durch die Schulung zu überlasten.
Nochmal zurück zur Digitalkompetenz: Wer behauptet, dass da irgendwelche abgefahrenen Makros benutzt würden bezieht sich vermutlich auf wenige Bereiche. In der Breite sind viele Mitarbeiter der Stadt davon überfordert simpelste Excel-Formeln oder Word-Funktionalität zu nutzen. Denen könntest Du vermutlich fast alles an halbwegs funktionierender Software vorsetzen solange sie sich in der UI zurechtfinden würde es funktionieren.
Mehr oder weniger richtig, auch wenn das wieder mal auf die Mehrheit der Angestellten zutreffen dürfte. Der Knackpunkt ist halt das "funktionierende" System mit guter Bedienbarkeit. An Word, Excel und PP hat man sich gewöhnt, das ewige Stockholm-Syndrom. Ich muss persönlich sagen, dass ich die Programme für die Zwecke ganz okay finde (wobei ich nichtmal weiß, wofür Excel eigentlich genutzt werden sollte, sah darin schon Dinge...). Kenne allerdings die super-DSGVO-Konformen-Lösungen als entweder viel zu kompliziert und/oder viel zu schlecht umgesetzt* und/oder einfach scheiße zu bedienen. Es ist ja schön, dass die meisten hier tief in der Technik stecken (tatsächlich verstehe ich bei der Hälfte nur noch Bahnhof), nur sollte man mit neuer Fachsoftware auch gut arbeiten können und die Bedenken "der überforderten Bearbeiter" nicht wegwischen. Wenn ich mit Affentechnik in Excel / Word schneller bin, als in dem Workflow der Software, dann bringt's nix.
Ich muss sagen, dass es für mich persönlich der ausschlagebende Punkt ist, warum ich die "typischen" Datenkraken füttere. Es gibt keine bequeme Alternativen, für die ich mich nicht gefühlt tagelang informieren müsste und dann auch noch von anderen Leuten genutzt wird, mit denen ich kommunizieren will. Was die Bereitschaft sich einzulesen / zu testen angeht, bin ich irgendwann in meinen 20ern stehengeblieben, es sei denn ich muss mich bewegen - und mein "Interesse" an der Technik ist noch eher überdurchschnittlich hoch. Das lässt sich mehr oder weniger auf alles übertragen, sei es Betriebssysteme, Software oder Sonstiges. Das zu ändern benötigt wahrscheinlich einen Paradigmenwechsel in Form von gesetzlichen Einschränkungen, sonst wird sich einfach nichts tun.
*Seiten-Rant: Bestes Beispiel ist die Weiterbildungsdatenbank der Agentur, lol. Die ist so alt, dass sie die aktuellen Weiterbildungsangebote nicht korrekt abbilden kann, bspw. gibt es keine sinnvolle Abfragelogik, die virtuelle Klassenzimmer / online-Fortbildungen anzeigen kann; es gab lange dafür einfach keinen entsprechenden Wert. Die Lösung war dann, dass man in jeder halbwegs großen Stadt das Bildungsangebot akzeptiert hat, weswegen statt real ca. 150.000 Angeboten 5+ Millionen Angebote da waren und keiner mehr was fand. Übrigens wurden die "Kataloge" via XML übermittelt. Das XML-Schema war aber nicht wirklich von der Agentur, sondern ein ausgelöster Teil von einem Projekt aus dem Fraunhofer-Institut. Die haben aus irgendeinem Grund mal einen XML-Katalog für eine Möbelkette (!) geschrieben, in dem in einem kleinen Teil auch Qualifikationsmaßnahmen für Mitarbeiter abgebildet werden konnten. Es wurde (hoffentlich die Vergangenheitsform) genutzt, weil es kostenlos zu haben war, als die Datenbank entwickelt wurde.