Erstmal vorab danke für die ausführliche Antwort und grundsätzlich volle Zustimmung.
Wenn ich das richtig verstehe, dann ist die Prämisse, unter denen man die Wirtschaftsweisen als Gruppe zusammengesetzt hat eigentlich eine falsche, weil u.a. "Produktionen" wie das Jahresgutachten nicht zwangsläufig von allen Mitgliedern in gleicher Qualität geleistet werden können. Dann aber auch hier die Frage, wieso ändert man sowas nicht?
Ich hab noch nie verstanden, wieso man nicht eine Entscheidung nach einer gewissen Zeit einfach revidiert und sich eingesteht "kann man so machen, ist aber nicht so wirklich sinnvoll".
Es ist ja nicht so, dass es keine Expertenkommissionen gibt und ich hab auch nicht das Gefühl, dass einer von den 5 Personen mega geil auf den Titel ist, die könnten sicherlich mit ihren Qualifikationen auch in diverseren anderen Bereichen deutlich effektiver wirken.
Die können schon alle etwas beitragen, so wie dir dein HNO-Arzt sicher auf einer sehr allgemeinen Ebene etwas über deine Muskelbeschwerden sagen könnte. Aber es ist nicht ihr Spezialgebiet und häufig kommt deshalb entweder relativ generischer Inhalt: Malmendier* etwa ist wohl so jemand, die kaum je zu klaren Aussagen bereit ist. Oder es kommt relativ unverhohlen die politische Linie desjenigen durch, sieht man insbesondere in den Sondervoten: Früher war das immer Bofinger, der seinen linken Sermon beigetragen hat, heute ist es Grimm mit ihrem rechten Sermon, beide jetzt nicht bekannt für Makro-Expertise.
Warum ändert man es nicht? Man kann sich nicht auf eine Alternative einigen und der Rat ist insgesamt zu unwichtig, weil er sowieso immer ignoriert wird. Viele Leute wären für das Modell das die USA haben, wo die Mitglieder mehr oder weniger den Präsidenten dabei beraten, wie er am besten seine wirtschaftspolitischen Ziele erreichen kann. Das wäre prinzipiell wünschenswert, krankt aber halt daran, dass die Regierungen in Deutschland in den letzten 20 Jahren fast nie gemeinsame wirtschaftspolitische Ziele hatten. Man kann es gut an den Beratergremien der einzelnen Ministerien sehen: Das Wirtschaftsministerium ist jetzt vollgestopft mit ordoliberalen Beratern, seit die CDU es wieder hat, das Finanzministerium hat mit Südekum einen dezidiert linken Ökonom berufen.
Das ist btw so ein bisschen ein Mikrokosmos dafür, woran die komplette Wirtschaftspolitik in Deutschland aktuell krankt: Wir haben eigentlich immer mindestens zwei Parteien, deren Vorstellungen, wenn sie auf ihre eigenen Ökonomen hören würden, komplett gegenläufig sein müssten. Eine dezidiert sozialdemokratische Politik wäre aktuell eine Nachfragepolitik. Die Union will aber das Gegenteil. Das ist eigentlich kein Baby, das man in der Mitte durchschneiden kann. Also einigt man sich halt auf "alles bleibt mehr oder weniger wie es ist". Das war ja auch das Verrückte an dieser ganzen JU-Nummer: Die Parteien haben sich gegenseitig nun schon wirklich nur minimale Reformen gegönnt. Jetzt einfach unilateral die der anderen Seite aufzukündigen ("wir haben die Wahl gewonnen") heißt nicht, dass man sich selbst durchsetzt, sondern dass es garantiert zu 100% Stillstand kommt. Genau nach demselben Muster wird es keine Reform des Rates geben: Keine Koalitionspartei wäre bereit, eine Reform zu akzeptieren, die den status quo von sich weg verschiebt. Es gibt aber bei dem Thema keine echte Alternative: Ganz egal wie man an der Besetzung rumspielt, es wird immer zu einer Verschiebung kommen, die eine der beiden Parteien nicht will. Und den Rat ganz abzuschaffen würde nur schlechte Presse bedeuten, also bleibt halt alles wie es ist.
*die übrigens die mit Abstand coolste wissenschaftliche Arbeit macht und auch mit Abstand die angesehenste Wissenschaftlerin von den fünf ist, aber halt über das Verhalten einzelner Marktteilnehmer, von da ist es einfach ein sehr weiter Weg hin zur Gesamtvolkswirtschaft
Es stimmt, dass (1) nur begrenzt durch die Politik beeinflussbar bzw. steuerbar ist. Allerdings gibt es da durchaus Werkzeuge wie Eintrittsalter, Abschlag bei frühzeitigem eintritt oder Anreiz zur Weiterbeschäftigung auch nach Renteneintritt.
Versteh mich bitte nicht falsch, das ist alles kein gamechanger und vermutlich auch nur kleine Stellschrauben, die die Politik drehen kann. Aber man würde für eine Reform die z.B. auch Selbständige und Beamte einbezieht Zeit gewinnen. Ich meine Österreich hat beim Einzug der Beamten in die Rentenkasse einen guten Weg eingeschlagen.
Schlussendlich sehe ich den Reformbedarf gar nicht so sehr in der ersten und/oder zweiten Säule. Ja, Mütterrente und Rente mit 63/65 sind nette Modelle.
Ob es die brauch muss man individuell entscheiden. Mein Problem liegt hauptsächlich bei der dritten Säule und meine Befürchtung ist, dass gerade die Menschen hinten runterfallen, die keinen Zugang zur zweiten Säule haben und deren Anwartschaften, die teils erst in Jahrzehnten abgerufen werden, dann auf Minimum zusammengeschmolzen sind.
Diesen Menschen bleibt nichts übrig, als irgendwie privat vorzusorgen und da sehe ich erhebliches Verbesserungspotenzial in Form von Steuerstundung, Absetzbarkeit, Pfändungsschutz etc. pp..
Na ja, ich weiß natürlich schon dass man auch an (1) ein bisschen was machen kann, habe ich ja auch geschrieben. Aber man muss da auch tatsächlich realistisch bleiben: Leute können nicht deutlich länger arbeiten als jetzt schon. Es gibt kein Land der Welt (zumindest keins, das sich ein Rentensystem leisten kann), in dem Menschen im Durchschnitt länger als bis in ihre späten 60er arbeiten. Die Produktivität nimmt in dem Alter auch relativ stark ab. Anreize zur Weiterbeschäftigung sehe ich generell kritisch: Kann man versuchen, ist aber empirisch bisher nicht sehr erfolgreich gewesen. Abschläge kann man natürlich immer machen, aber das ist ja nichts anderes als das Rentenniveau senken.
Was ich an der ganzen Rentendiskussion so frappierend finde ist mit was für einer Vehemenz über das Thema gestritten wird, obwohl es weder besonders brenzlig noch im Vergleich sonderlich schwierig zu lösen wäre. Das deutsche Rentenniveau ist im OECD-Vergleich unterdurchschnittlich und auch wenn wir ein vergleichsweise altes Land sind ist es jetzt auch keinesfalls so, dass die meisten anderen Industrieländer eine SO viel bessere Quote von Beschäftigten zu Rentnern hätten als wir. Wenn beide Seiten politisch über ihren Schatten springen, läge die Lösung auf der Hand: Linke müssen akzeptieren dass eine starke Säule Kapitaldeckung existieren muss und Rechte müssen akzeptieren dass das Äquivalenzmodell aufgeweicht werden muss, um Altersarmut zu vermeiden. Wo wir nämlich tatsächlich als Land relativ außergewöhnlich sind mit unserem Rentenniveau ist die Tatsache dass die meisten Länder, die ein vergleichbar niedriges Rentenniveau haben, viel stärker innerhalb des Systems unverteilen, d.h. Geringverdiener bekommen einen deutlich höheren Prozentsatz als Mittel- und Gutverdiener. Wenn man dazu noch eine leichte Erhöhung des Rentenalters für diejenigen beschließt, die länger produktiv arbeiten können, löst sich das Problem mehr oder weniger auf. Gesundheit und Pflege sind da viel dickere Brocken.