Über Starcraft und Spaß
Starcraft! Wieviele Stunden habe ich in diesem Spiel verloren? Wieviele Gedanken habe ich daran verschwendet? Und wie wenig ist dabei rausgekommen?
Ich schreibe das alles nicht, weil ich dich beleidigen oder angreifen will. Du bist hier in diesem Broodwar-Forum und deshalb haben wir etwas höchstwahrscheinlich gemeinsam, wir interessieren uns für das gleiche Spiel. Heute beurteile ich Starcraft anders als früher, hat sich jedoch geändert und das gleiche wird dir evtl auch passieren. Natürlich ist das folgende nur meine Sicht, aber einige Argumente werden dich vielleicht vom Gegenteil überzeugen. Fangen wir also an:
Starcraft war meine Droge und das bodenlose Faß, in das eine beträchtliche Menge meines Lebens gefloßen war, und vor allem der Beweis von mangelnder Selbstdisziplin. Wenn du dir die drei obigen Fragen stellst, wirst du vielleicht zu einem ähnlichen Schluß gelangen. Wenn es dem nicht so ist, wirst du das Gleiche vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt feststellen. Je später dieser Punkt sein wird, desto erschreckender wird die Erkenntnis sein, dass man soviel Zeit verschwendet hat. Sollte sich deine Sicht nicht ändern, so lebst Du aus meiner Perspektive in einer angenehmen Unwissenheit.
Deine Droge könnte anders heißen, vielleicht heißt sie Kneipe, Disko oder Gammeln. Wie deine Droge heißt, spielt kaum eine Rolle, vielleicht magst du es nicht, dass ich die Dinge, die dir Spaß machen, mit einem solch' negativen Begriff nenne, lass mich deshalb definieren, was ich meine.
Drogen sind Suchtmittel, wir nehmen sie, weil sie uns Spaß für den Augenblick bereiten, manchmal ist es sogar die Abkehr von unserem langweilig gewordenen Alltag in eine scheinbar bessere Welt. In der heutigen Spaßgesellschaft gibt es einen Überfluß an gesellschaftlich akzeptierten Drogen, niemand ist eine Ausnahme, jeder fröhnt dem Konsum und dem Spaß. Allgemein ist also eine Droge Unterhaltung.
Wieso sollte dann irgendwas falsch daran sein, Spaß zu haben, stundenlang Starcraft zu zocken, wenn es die ganze Gesellschaft tut? Erst einmal tut eine ganze Menschenmasse kaum das, was gut ist. Je höher eine Gruppe ist, desto niedriger wird ihre Effizienz (siehe “Gruppenarbeit”). Das aber nur nebenbei.
Unterhaltung macht psychisch sozusagen abhängig (kein wesentlicher Unterschied zu echten Drogen...), es ist ihr Wesen, dass sie uns Spaß bereitet, doch je öfter wir sie haben, desto mehr Gewöhnung bekommen wir daran. Irgendwann wird es sogar zum Alltag, also nehmen wir höhere Dosen - wir investieren immer mehr Zeit in diese bestimmte Unterhaltung, bis sie gänzlich versagt und aufhört, Spaß zu liefern. Dann greifen wir zu einer anderen Droge, doch es wird sich nur der Name ändern, nicht die Wirkung. Auch diese Droge wird erlischen. Überlege, macht dir Starcraft heute noch soviel Spaß, wie in deinen ersten Stunden? Ist nicht jegliche Spaßbeschaffung der Versuch von Langeweile zu entfliehen? Mündet diese übermäßigen Anstrengungen nicht wieder in Langeweile, die sich jedoch noch weiter gesteigert hat, da wir wieder noch eine Möglichkeit der Langeweile-Beseitigung weniger haben?
Spaß ist von sehr kurzer Dauer und sehr kleiner Wirkung. Und das trifft auch auf Starcraft zu. Sicher, diese Stunden waren Spaß. Aber was ist davon jetzt noch übriggeblieben? Nehmen wir z.B. die LANs, wahrscheinlich hat da ein Großteil von uns weit mehr als 12 h am Stück gezockt, doch so um 5-6 Uhr morgens, wenn das graue Licht durch die Fenster fiel, füllte sich die Atmosphäre mit einer müden Gereiztheit. Alles kotzt einen an. Der Nachbar, der schon zum zweiten Mal seit fünf Minuten die Cola haben will, die Allies, die die gleichen Fehler machen, schlimmer noch, wenn das Netzwerk zusammenbricht. Nicht zu vergessen, dass man anderthalb Tage nach einer LAN kaputt ist und den Anschluß an den Lichtwechselrhythmus der Außenwelt finden muss. Zuviel Spaß ist schlecht.
Nun könne man sagen, dass man es nicht mit den schlaflosen LANs übertreiben muss. Gewiss, aber wieviel Spaß ist genug? – 5 Stunden? Addieren wir einmal all die Stunden die Starcraft zum Opfer gefallen sind – was ist nun davon übrig? Wir können sagen, es hat Spaß gemacht, aber uns kaum an etwas davon erinnern, was es genau zu welchem Zeitpunkt war.
Das ist der Unterschied zu dem, was ich nun Freude nennen werde. Freude ist Spaß, der aber ein Ergebnis zur Folge hat, es erzeugt eine Erfahrung, die weit über die Halbwertszeit von Spaß weit bestehen bleibt.
Wenn wir nun untersuchen, was genau Freude macht, so ergeben sich Dinge, die vor allem eins tun: sie betreffen einen persönlich. Man erinnert sich am besten an etwas, was man selber gemacht und erfahren hat, was aber zudem etwas neues war. Diese Erfahrungen nehmen oft eine solche Bedeutung ein, dass man auf sie nicht verzichten will. Freude mag nicht so intensiv wie Spaß sein, es ist eher Zufriedenheit, die dafür länger anhält.
Doch was ist Freude genauer? Nun, das kann ich nicht genau sagen, denn ich habe zuviel Zeit für andere Dinge verschwendet und es wird für dich vielleicht etwas anderes sein. Was meiner Erfahrung nach dazugehört ist das Gefühl, etwas erschaffen zu haben, wenn du das Produkt deiner intensiven, eigenständigen Arbeit siehst, wenn du erkennst, dass du an dir gearbeitet hast, und in irgendeinem Gebiet besser geworden ist. Freude hat also eine sehr nützliche Funktion im Gegensatz zu Spaß:
Freude ist “dynamisch”, bildet weiter, erweitert den Horizont, die Fähigkeiten, das Wissen; Spaß ist “statisch”, monoton und hält die eigene Entwicklung auf dem gleichen Punkt. Freude ist mit fortwährender Bewußtseinserweiterung verbunden. Deshalb kann Lernen, Arbeiten, Denken Freude machen. Freude hat ein konkretes Ergebnis, Spaß kann lediglich ein wenig zur psychischen Regeneration, zur kurzen Euphorie beitragen, schließlich dazu, dass wir irgendwann mit Schrecken und steigender Unbehaglichkeit uns fragen, wo die Zeit geblieben ist.
Diese Haltung läuft, konsequent zuende geführt, darauf hinaus, dass Spaß nicht der Sinn des Daseins sein kann... Nun ja, ich schätze, dass du mir kaum zustimmen wirst. Starcraft war ja nicht grundauf böse. Es hat nicht nur Spaß gemacht, sondern man hat durch das Battle.net Freunde kennengelernt, Clans gegründet, sich im Spielen verbessert und vielleicht sogar Real-life-Treffen veranstaltet.
Das ist schön und gut, aber das gab es alles schon, besser und mehr:
Man kann Leute da draußen persönlich kennenlernen. Internet ist hingegen verarmte Kommunikation. Was kriegt ihr von der Psyche des anderen im ICQ oder IRC mit? Mimik, Gestik, Stimmlage jedenfalls nicht. Die Gefühle werden auf schnell dahingeschriebenen Text reduziert. Das gleiche gilt für SMS. Internet ist gut, für die, die sich verstecken wollen, schon genug Freundschaften haben oder sehr weit entfernte Kontakte knüpfen wollen, keinesfalls für persönliche Freundeskreis-Erweiterung.
Zocken ist ein Sport. Das stimmt, aber es ist ein verarmter Sport. Die Bewegung der Fingermuskeln hat mit echtem Sport wenig zu tun. Lediglich das Reaktionsvermögen wird aufgebessert, aber das kann man in Kampfsportarten viel besser trainieren, und nebenbei lernt man Selbstverteidigung, Koordination und Kampfgeist.
Ist Starcraft ein Denksport wie Schach? Entscheidend ist vor allem die Geschwindigkeit des Mauszeigers, und mit den Einheiten ein wenig Micro zu beherrschen. Sicher erfordet das ein wenig Denkvermögen, aber das ganze geschieht in solch größer Hast, da es Echtzeit ist, dass Schach nunmal eine grundlegend höhere Denkkategorie bildet. Schach ist Strategie und für das Gehirn äußerst anstrengend. Starcraft beschränkt sich auf eine Hand voll Build orders mit einem intuitiven Gefühl für das Exen, auf Taktik statt auf Strategie.
Battle.net ist Wettkampf – den man intensiver woanders haben kann. Es mag einen mit einem Gefühl von Macht und Überlegenheit erfüllen, wenn man gegen einen “besseren” Spieler gewinnt, aber diese Überlegenheit ist von höchst kurzer Dauer. Ein paar Monate später gibt es neue Stars, nur wer seine halbe Zeit im Multiplayer verbringt, bleibt an der Spitze. Das zeigt, dass Starcraft wenig mit Talent zusammenhängt. Jeder, der viel Zeit verbringt, kann sich bis zu einem hohen Grad erarbeiten. Ich kenne niemanden, der sehr gut gewesen war, weil es ihm angeboren war, ein guter Pro-Gamer zu sein. Und wo wir bei Macht und Überlegenheit sind – würde es dich nicht mit einem weitaus intensiveren Gefühl von Triumph erfüllen, wenn du die Reaktion des Verlierers vollständig wahrnimmst? Wenn der Gegner auf dem Spielfeld verärgert, verletzt und aggressiv zeigt, dann ist das sicher etwas völlig anderes als über die Battle.net-Chats die psychische Niederlage des Gegners zu erraten versuchen.
Real-Life Treffen und Clans. RLTs und Wettkampf, siehe verarmte Kommunikation und Wettkampf-Kommentare weiter oben.
Es gibt zwei Arten von Clans, Fun- und Leistungsclans. Leistungsclans spielen solange, bis sie gewinnen. Da vergeht einigen irgendwann der Spaß und sie gehen. Spaß-Clans dagegen entwickeln sich oft zu Leistungsclans – warum? Ich behaupte, dass das im Einklang mit den obigen Thesen steht: Irgendwann macht es eben keinen Spaß mehr, es ist immer das Gleiche, dies und das bauen, gegen die und die in der gleichen niedrigen Liga kämpfen. Gewinnt man jedoch des öfteren, so ändert sich das. Irgendwann bringt nur noch Erfolg bringt Spaß. Aber der Preis dieses Erfolges ist letztendlich sehr viel Zeit.
Zeit, das ist es, worum es mir eigentlich geht. Man lebt hier nicht ewig, irgendwann stirbt man. Auch deswegen fragt man sich, wozu man lebt. Von mir aus, mag meine Definition von Freude schwammig sein, von mir aus kann meine Wertung von Pro-Gaming und Battle.net grundlegend und objektiv falsch sein. Aber das, was dann von meiner Argumentation übrig bleibt, ist, dass Spaß die eigene Zeit vernichtet, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Ich habe es schon angesprochen, gerne tue ich es noch einmal anders: Jeder von uns hat sicher mehr als zwei Tausend Starcraft-Zeit hinter sich. Ich frage, was ist davon übrig? Der Spaß ist längst “vergessen”. Es hat uns nicht weitergebracht, wir wissen kaum etwas mehr, weil wir 2000 statt 20h Starcraft gespielt haben. Es hat weder zu der Entwicklung noch zu den eigenen Fähigkeiten so beigetragen, als das wir im realen Leben davon profitieren könnten. Und was hätte man nicht alles in dieser Zeit machen können? Es gibt soviele Dinge auf der Welt, soviel hinter dem eigenen Horizont. Ich rede von Erfahrungen, Entdeckungen, von Neuem. Die menschliche Welt gibt es schon Jahrtausende, was wurde nicht alles schon erschaffen und gedacht...
Vielleicht sagst du darauf, dass es dich nicht interessiert, es betrifft ja auch kaum direkt unseren Alltag und unser Leben, aber wenn du tatsächlich in Geschichte, Kultur, Literatur, Musik, Wissenschaft, Psychologie nichts finden kannst, was dich bewegt, interessiert, packt und vereinnahmt, so ist dir wohl nicht zu helfen. Von was für einer Arroganz, was für einer Beschränktheit und einem Egoismus muss es denn bloß zeugen, wenn man glaubt, dass Jahrtausende der Geschichte und Millionen von Menschenleben ignoriert werden könnten, und dass sich die Welt verlustfrei auf einen 17-zölligen Monitor und einen halben Meter große Kiste mit Winamp, ICQ und Starcraft reduziert werden kann...?
Shakespeare, Goethe, Nietzsche, Schiller, Hegel, Leibniz, Fichte, Marx, Adams, Mill, DaVinci, Michelangelo, Homer, Benn, Galilei, Descartes, Hobbes, Locke, Augustinus, More, Luther, Calvin, Zwingli, Aquin, Machiavelli, Rousseau, Voltaire, Leibniz, Herder, Smith, Kant, Malthus, Freud, Heisenberg, Wittgenstein... ihr kennt die Namen? Kennt ihr auch ihre Gedanken, ihre Erkenntnisse und Errungenschaften? Die Liste ist höchst unvollständig, und das waren nur ein paar Philosophen und Schriftsteller und das alles haben wir verpasst – davon vor allem eins – die Aufklärung! In diesem Sinne, sapere aude! - Habet den Mut, euch eures eigenes Verstandes zu bedienen... - I.Kant