Erstens ist mir das klar, aber du musst bei Internetdiskussion eben auch ein bisschen mitdenken und Abwägungen treffen. Wenn ich sage, der angegriffene Punkt ist "In Deutschland ist kein Bildungsaufstieg möglich", dann muss dir doch klar sein, dass damit gemeint ist "in Deutschland ist der Aufstieg stark von der sozialen und ethnischen Herkunft abhängig und damit im Durchschnitt weniger leicht als in anderen Ländern". Insbesondere wenn du deinen Diskussionspartner nicht für völlig dum hälst, denn niemand bei Verstand würde so absolute Aussagen treffen und meinen.
Ich glaube du hast mich falsch verstanden. Was ich mit "absolute statt relative Frage" meinte war Folgendes: Du kannst an die Frage auf zwei Arten herangehen. Die Erste ist sich zu fragen wie schwierig ein Aufstieg maximal sein darf und dann zu sagen, wenn er einfacher ist als x dann ist die Situation gerecht. Die Zweite ist zu fragen wie viele Menschen auf- und absteigen. Um es etwas krude zu sagen: Selbst wenn man das Gefühl hat, dass das untere Ende mehrheitlich selbst Schuld ist, dass sie nicht aufsteigen, muss man sich fragen ob man nicht besser die eigenen Maßstäbe absenkt. Zumal die Kehrseite der Medaille ja auch ist, dass das heißt, dass am oberen Ende eine Menge Leute ohne große Eigenleistung oben bleiben anstatt abzusteigen.
Die reine Lehre vertritt natürlich kaum jemand und es gibt ein weites Spektrum zwischen den beiden Extremen, aber ich glaube du gehst an die Sache eher auf erstere Art heran. Das kann ich nachvollziehen, allerdings sehe ich es so, dass das keine Maxime ist, nach der der Staat handeln sollte.
Zu den Studien: die sind alle bekannt. Ich kann nur nicht überzeugend finden, was dort postuliert wird. Ich sehe Korrelationen aber ich sehe keine überzeugende Kausalität. Insbesondere überzeugt einen das aber dann nicht, wenn man selbst ganz ohne irgendwelche Beziehungen, sozialen Status oder sonstige angeblich zwinenden Voraussetzungen problemlos "den Aufstieg" geschafft hat und alle um einen herum auch. Ja, das ist Nahbereichsempirie. Aber kannst du mir einfach verständlich erklären, was genau Deutschland angeblich so undurchlässig macht? Schule ist umsonst, Gymnasium ist umsonst, Studium ist umsonst. Ja mei, man muss im Studium arbeiten, wenn Papa nicht alles zahlen kann. Mussten ich und tausende andere auch. Ich verstehe es einfach nicht und bin daher für eine nachvollziehbare Erklärung offen.
Na ja, dazu gibt es relativ viel Material, aber so richtig überzeugend hat noch niemand Kausalität gezeigt. Allerdings fällt mir nicht ein, was es sonst sein kann: Wenn es nicht am Staat liegt, müsste es ja in irgendeiner Form an den Menschen selbst liegen und das sehe ich nicht. Warum sollte unserer Unterschicht der Aufstieg schwerer fallen als der Unterschicht in anderen OECD-Ländern?
Ok, warum? Mir ist klar, dass steigende Ungleichheit zu sozialer Unzufriedenheit führen kann und damit zu einer insgesamt feindseligeren Stimmung in der Gesellschaft. Das kann ich nachvollziehen.
Was ich nicht verstehe ist, was die besondere Dramatik in Deutschland sein soll. Hier herrscht vergleichsweise viel Gleichheit. Wir nähren uns wohl eher dem Normalwert westlicher Industriestaaten an. Also beim Mietbespiel: "der kleine Mann" kann sich auch nicht annährend eine Wohnung im Zentrum von New York, Paris, London, Madrid oder Tokio leisten. Warum soll das in Berlin möglich sein? Was ist an diesem Parameter so wichtig? Zieht er 30min mit dem Regio nach Brandenburg, kann man sich auch von Hartz4 eine riesen Bude leisten. Und zur Arbeit pendeln ist auch kein Problem, das macht weltweit fast jeder AN, der in einer Metropole arbeitet.
Ich glaube nicht dass es eine besondere Dynamik in Deutschland gibt. Wir sind bei der Durchlässigkeit etwas unter dem Durchschnitt, aber dafür geht es uns absolut auch besser als dem Durchschnitt, dementsprechend ist die Lage jetzt nicht fatal. Das Problem ist allerdings, dass die Leute das alles relativ sehen: Die fragen sich nicht, ob es ihnen besser als ihren Großeltern geht, sondern ob es ihnen besser als ihren Eltern oder Freunden geht. Und da haben wir mit dem "Normalwert westlicher Industriestaaten" einfach ein Problem: Die Früchte wirtschaftliches Wachstus werden praktisch überall nur mäßig gut verteilt. Dementsprechend ist der Durchschnitt der westlichen Industriestaaten kein besonders guter Indikator, weil er in eine nicht wünschenswerte Richtung driftet.
Der Absatz zu Mieten verkennt ein bisschen die Realität:
1. Die Mieten steigen nicht gleichmäßig, sondern sprunghaft aber für (vergleichsweise wenige) Neumieter. Für die allerdings nicht nur in wenigen Städten und Vierteln, sondern tatsächlich mittlerweile erstaunlich oft. Wenn Leute ein Drittel und mehr ihres Einkommens für Miete aufbringen, ist das ein echtes Problem. Das löst du nicht dadurch, dass du den Leuten sagst, dass sie statt in Berlin doch auch einfach in Brandenburg wohnen könnten: Dass internalisieren die Leute nur, wenn sie wirklich glauben, dass der Staat dagegen nichts tun kann. Das glauben sie aber momentan nicht und ich vermute, damit haben sie auch nicht ganz Unrecht. Dass "fast jeder Arbeitnehmer" in eine Metropole pendelt erscheint eher unrealistisch, denn Städte sind nun mal verdammt dich besiedelt und diese Leute arbeiten auch alle irgendwo.
2. Die Frage nach Mieteigentum stellt sich weniger für Leute in Berlin-Mitte als für die breite Masse und da ist Deutschland einfach erschreckend unterdurchschnittlich aufgestellt. Das macht auch Leute in Städten wie Erlangen oder Bonn anfällig für das Mietpreisproblem, nicht nur in Hamburg und Berlin.