Auf die Frage, wie man heute für die Welt von morgen baut, hat der Münchner Architekt Florian Nagler eine überraschende Antwort: wie gestern. Oder vielleicht noch besser: wie vorgestern. Sein Entwurf für die Zukunft hat mehr Ähnlichkeit mit einer gotischen Kirche oder einem bayerischen Bauernstadl als mit einem vollautomatisierten Smart Home. „Bauen ist viel zu kompliziert geworden“, sagt Nagler. Die Gebäude von heute glichen mit ihrer ganzen Technik hochgezüchteten Rennpferden. Leistungsstark, aber auch sehr anfällig. Während die Häuser früherer Zeiten Jahrhunderte überdauerten, machen Bau- und Haustechnik in den Gebäuden des 21. Jahrhunderts schon nach wenigen Dekaden schlapp. Im oberbayerischen Bad Aibling kann man nun besichtigen, was passiert, wenn sich ein gebautes Rennpferd wieder in einen robusten Kaltblüter zurückverwandelt, und zwar gleich mehrfach. Drei Forschungshäuser sollen zeigen, wie das heute gehen kann, einfach zu bauen. Die Anforderungen an sie sind groß: Sie sollen langlebig und beständig sein, im Sommer nicht zu heiß werden und im Winter nicht zu kalt. Nagler und seine Mitstreiter sind angetreten, um zu beweisen, dass die einfachen Häuser mit Blick auf Ökobilanz und Lebenszykluskosten den hochgerüsteten Standardbauten überlegen sind.
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Erinnerung an Sakralbauten
Die drei Häuser sind monomateriell gebaut aus Holz, Beton und Mauerwerk – was sich außen zeigt, steckt auch drin. Dadurch lassen sich die Materialien besser vergleichen. Zudem sind die Öffnungen unterschiedlich. Während das Holzhaus rechteckige Fenster hat, schaut man aus dem Betonhaus und dem Ziegelbau aus Rundbögen in die Welt. Das erinnert zwar an die geschätzten Sakralbauten vergangener Jahrhunderte, hat aber vor allem konstruktive Gründe: Der eingesetzte experimentelle Dämmbeton hat im Gegensatz zum konventionellen Beton keine Stahlbewehrung, da die Produktion energieaufwendig ist und die Ökobilanz des Materials verschlechtert. Aber ohne Stahl lässt sich kein horizontaler Sturz ausbilden, daher der Rundbogen.
Im Bogen steckt auch gleich die erste Lehre: Wer einfach baut, muss einfach entwerfen. Dass die Häuser in ihrer Architektursprache ursprünglich und reduziert wirken, ist kein Selbstzweck. Geneigte Dächer zum Beispiel haben sich über Jahrhunderte bewährt. „Superkomplexe Entwürfe lassen sich nicht einfach bauen. Wir müssen wieder mehr darauf setzen, was die Architektur kann, und nicht versuchen, Defizite mit Technik zu kompensieren“, sagt Nagler. Moderne Architektur mit ihren vollverglasten offenen Räumen hat einen hohen ökologischen Preis. Denn die Wärme, die die Mittagssonne in die lichten Wohn- und Bürogebäude hineintransportiert, muss viel Technik danach wieder hinausschaffen. Das kostet Ressourcen und schlägt sich negativ in der CO2-Bilanz der Gebäude nieder. Deswegen reicht es auch nicht, einfache Entwürfe einfach zu bauen, wenn man es mit der Nachhaltigkeit von Gebäuden ernst meint. Auch die Bewohner müssen sich mit einem einfacheren Leben anfreunden und ihre Ansprüche zurückschrauben: mit weniger Quadratmetern auskommen und vielleicht auch damit, dass im Winter nicht jeder Raum konstant 21 Grad Raumtemperatur hat, sondern nur der, in dem man sich gerade befindet. Auch das erinnert ein bisschen an vorgestern, als die Familie sich ums offene Feuer im Wohnraum scharte, während die Schlafzimmer kalt blieben.
Überraschende Deckenhöhe
Aber lebt es sich in den einfachen Gebäuden auch so karg wie in Mönchszellen? Als Erstes betreten wir das Betonhaus, das in seiner Reduziertheit und dem roh belassenen Sichtbeton im Innenraum tatsächlich ein wenig wie ein modernes Kloster wirkt. Das ist es aber schon mit der Ähnlichkeit. Geradezu verschwenderisch für einen Neubau mutet die Deckenhöhe von mehr als drei Metern an, die man sonst eher aus einem gründerzeitlichen Altbau kennt.
Doch das ist keineswegs unnötiger Luxus, sondern auch dem Prinzip des einfachen Bauens geschuldet. „Durch die Raumhöhe steht mehr Wandfläche zur Verfügung und dadurch auch mehr Speicherfläche“, erklärt Nagler. Dadurch muss man nicht so viel heizen und so häufig lüften. Auch die Raumgröße erinnert mit sechs Meter Länge und drei Meter Breite und dem einen großen Fenster an einen Altbau – und ist doch das Ergebnis moderner Computersimulation. „Wir haben die optimale Raumgröße und Lage der Fenster ermittelt, damit sich die Zimmer im Sommer nicht so stark erwärmen und im Winter nicht so viel geheizt werden muss“, erklärt der Architekt. Die Fenster sitzen in allen drei Häusern tief in den Laibungen. Das ist der Idee geschuldet, dass dieser natürliche Sonnenschutz im Gegensatz zu einem ferngesteuerten HightechProdukt auch noch in achtzig Jahren funktioniert. „Wir reparieren 8000 Rolladengurte im Jahr“, fügt Böhm hinzu und liefert damit gleich eine Begründung, warum er von der Idee, weniger komplexe Häuser zu bauen, sofort angetan war.
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