Jop, das ist das klassische Verschieben des Bezugsrahmens. Ist natürlich auch menschlich.
Erst vergleicht man sich mit der Weltspitze, dann mit dem Mittel der EU, und wenn es weiter bergab ginge (was es nicht muss), dann würde man irgendwann hören "wir haben es doch viel besser als Afrika".
Aber das ist ja psychologisch potentiell auch gesund anstatt der Weltspitze nachzutrauern.
Ich kann es nur nochmal wiederholen: Solche Vergleiche sind in der Regel Astrologie für Männer. Jede dieser Diskussionen krankt an mindestens einer der folgenden zwei Probleme:
1. Die substanziellen Unterschiede am oberen Ende dieser Skalen sind schlicht sehr gering. Während ein Rang immer ein Rang ist, ist es halt einfach kein großer Unterschied, ob man jetzt im Land auf Rang 9 lebt statt auf Rang 1 oder Rang 15. Statt sich die ordinalen Ränge anzuschauen sollte man sich anschauen, wie sie zustande kommen. Konsequenterweise kann man, je nachdem wie man die Statistik zusammenstellt, die Länder am oberen Ende fast beliebig austauschen. Nur als Beispiel:
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HDI: Hier wird die Spitze von den nordischen Wohlfahrtsstaaten und den erfolgreichsten mitteleuropäischen Wirtschaften gebildet (Schweiz, Deutschland, Niederlande, Belgien)
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OECD Better Life Index: Hier sind wieder die nordischen Wohlfahrtsstaaten vorne, aber die anglophonen Länder schneiden im Durchschnitt besser ab als beim HDI.
- Und hier mal eine Statistik, die auf kaufkraftbereinigte Arbeitsentlohnung pro Stunde zielt:

Da sind dann die USA ganz vorne, die Mitteleuropäer jedoch mit vorne dabei.
Was lernen wir jetzt daraus? Nicht wahnsinnig viel.
2. Viele der Vergleichskategorien sind keine reinen Valenzissues.
Ein Beispiel: So ziemlich jeder dieser Vergleiche zielt im Kern auf Wirtschaftsleistung als die wichtigste Variable ab. Es ist aber nicht strikt "besser" oder strikt "schlechter", eine höhere Wirtschaftsleistung zu haben, weil Leistung halt immer Arbeit pro Zeiteinheit ist. In Deutschland ist die durchschnittliche Arbeitszeit am unteren Ende in der OECD. Es gibt einige Staaten, die nur knapp eine höhere Durchschnittsarbeitszeit haben, aber es gibt auch Staaten wie die USA, in denen die Menschen 1/3 mehr arbeiten als in Deutschland. Wenn man sich nur die Wirtschaftsleistung anschaut, dann hat diese Freizeit effektiv keinen Wert. Dabei ist die Frage, wie viel man arbeitet, für viele Menschen für ihre Lebensqualität absolut zentral.
Ein anderes Beispiel: Viele der Statistiken lassen auf die eine oder andere Art Lebenserwartung einfließen. Die ist aber schlicht ab einem bestimmten Wohlstand eine Frage des Lebenswandels. Im Vergleich zu den Südeuropäern essen wir Mitteleuropäer (übrigens auch die Nordeuropäer) ungesünder und trinken zu viel. Das sind aber letztendlich Geschmacksfragen, die unterschiedliche Länder unterschiedlich beantworten.
Dementsprechend sind diese Rankings schlicht wenig aussagekräftig. Wenn man die die Rankings inhaltlich auseinander nimmt und vergleicht, dann gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten, wie man als Land attraktiver wird: Entweder man generiert mehr Wohlstand oder man verteilt ihn gleichmäßiger. Letzteres ist aber genau das, was hier im Anfangspost kritisiert wurde, weil wir ja ach so viele Steuern/Abgaben haben. Ersteres ginge in Deutschland, würde effektiv aber bedeuten dass wir als Gesellschaft schlicht mehr arbeiten müssten. Es gibt schlicht keinen free lunch in diesen Rankings für Länder unserer Größe.
Die einzige Art, wie man effektiv umsonst attraktiver werden kann ist wenn man irgendeinen (häufig leistungslosen) Standortvorteil genießt, zum Beispiel Ressourcenreichtum der auf eine sehr kleine Zahl an Menschen verteilt wird (Norwegen, Katar, VAE, Bahrain) oder wenn man die niedrige Einwohnerzahl des eigenen Landes ausnutzt, um sich als liberaler trading hub für den Wohlstand aus größeren Staaten zu positionieren (Luxemburg, Irland, Island, Hong Kong, Singapur, bis zu einem gewissen Grad auch die Schweiz).
Nichts davon steht Deutschland offen und es ergibt auch keinen Sinn, Deutschland mit solchen Ländern zu vergleichen. Nach solchen Rankings war Deutschland historisch übrigens auch nie "Weltspitze", dementsprechend weiß ich gar nicht wie ihr darauf kommt, das einfach als den natürlichen Platz zu sehen, nach dem Deutschland schielen sollte. Es gibt aber halt auch keinen Grund, den Bezugsrahmen zu verschieben (oder das in der Larmoyanz wie oben zu beklagen): Deutschland war schon lange im internationalen Vergleich sehr gut aufgestellt, ist weiterhin sehr gut aufgestellt und es gibt halt auch keinen Grund zu glauben, dass sich daran in Zukunft groß etwas ändert. Effektiv gibt es alle die wild durchmischten Probleme aus der Aufzählung von YNC schon länger und effektiv hat sich Deutschland in den letzten 15 Jahren deutlich verbessert im internationalen Vergleich, nicht verschlechtert.
Wenn man wirklich der Meinung ist, dass Deutschland als Land attraktiver werden soll, dann ergibt es imho wenig Sinn Deutschland mehr zu einer winner-take-all Gesellschaft umzubauen, um ein paar ultra high-achiever als Migranten einzusammeln. Stattdessen sollte man versuchen, es einfacher zu machen, in Deutschland am Wohlstand zu partizipieren, wenn man selbst noch keinen erarbeitet hat. Dazu gehören genau solche Sachen wie hohe Hürden bei der Anerkennung der Berufsqualifikation, aber auch Abbau von Bürokratie, die schon Deutsche schwer durchschauen oder Abbau von Vorteilen, die man mehr oder weniger leistungslos hat, z.B. aus Regulierung oder aus vererbtem Vermögen (z.B. Grundbesitz).
So lange wir die ganze Zeit mit halbzivilisierten Arabervölkern geflutet werden, bzw. die Folgen dieser Migrationspolitik ständig vor Augen haben, startet jede Diskussion zu dem Thema mit einer großen Hypothek.
Ich verstehe im Gegensatz dazu nicht, warum wir nicht noch viel konservativer sind. So gut wie jeder Ausländer mit dem ich geschäftlich zu tun habe, fragt mich irgendwann, warum wir so bescheuert sind, unser Land in so einem Maße zur Zahlstelle für den Nahen Osten zu machen.
Und zwischen den beiden Fronten "Wir werden überfremdet" und auf der Gegenposition "Refugees welcome, Deutschland verrecke", hat es eine sachlich bemühte Diskussion schwer.
Ich vermute auch, dass Identität und ähnliche Faktoren letztlich eine größere Rolle spielen als sozialökonomische Erwägungen: Dass die Syrer vom deutschen Sozialstaat zehren, ist als Argument opportun, aber ob man dem syrischen Arzt, Erzieher oder Paketboten gegenüber wirklich aufgeschlossener wäre, halte ich zumindest nicht für selbstverständlich.
Das ist genau, was ich oben meinte btw. Ich sage mal, so richtig kaufe ich den meisten AfD-Spinnern sowieso nicht ab, dass sie nur Probleme mit "Einwanderung in die Sozialsysteme" haben. Aber selbst wenn es wirklich so wäre: Die Art von Einwanderer, die du dir als wünschenswert vorstellst, ist ja auch nicht blöd. Wer so krass gegen "Einwanderung in die Sozialsysteme" polemisiert wie die AfD, der ist entweder schlicht ein relativ stumpfer Rassist oder (bestenfalls) jemand, der Einwanderung alleine aus der Warte betrachtet, was sie für die angestammte Bevölkerung an Vorteilen bringt.
Stell es dir einfach mal so vor: Dadurch, dass ein ökonomisch produktiver Einwanderer hier ankommt, wird zusätzlicher ökonomischer Nutzen generiert. So weit ist es ein positive sum game. Aber wie der zwischen Einwanderer und Aufnahmegesellschaft verteilt wird, ist dann doch wieder zero sum. Und wenn ich als Einwanderer weiß, dass ich alleine nach meinem wirtschaftlichen Nutzen beurteilt werde, dann werde ich natürlich davon ausgehen, dass möglichst viel davon an die angestammte Population gehen soll. Umso stärker das als Argument zieht, umso mehr ist das ein Standortnachteil.
Mal im Ernst: Viele der Gegenden, wo die AfD besonders stark ist, sind schon Gegenden, die im Standortwettbewerb um Deutsche schlechte Chancen haben (unter anderem um ihre eigenen Kinder). Warum würdest du da als Einwanderer hinwollen, wenn du innerhalb Deutschlands auch andere Möglichkeiten hast? Insbesondere wenn du weißt, dass ein (vermutlich nicht unbeträchtlicher) Teil der Bevölkerung dir offen feindlich gesonnen ist und ein anderer Teil dich nur unter dem Gesichtspunkt sieht, wie du ihnen selbst ökonomisch nützlich sein kannst. So sehr ich den Satz mit den "kleinen Paschas" albern fand, aber mit einem hatte Merz ja durchaus recht: Es gibt Einwanderer, die etwas von uns brauchen und es gibt Einwanderer, von denen wir etwas brauchen. Lange Zeit haben sich die Konservativen darauf kapriziert, entweder zu sagen wir brauchen gar keine Einwanderung oder die Einwanderer, die wir brauchen, sollen froh und dankbar sein, nach Deutschland kommen zu dürfen, weil Deutschland so viel geiler ist als ihre Heimat. Das funktioniert aber halt nicht und wenn es Teile von Deutschland gibt, in denen das immer noch die herrschende Meinung ist, dann bräuchte man sich schon nicht wundern, dass man keine der "gewünschten" Einwanderer bekommt, selbst wenn man andere Standortvorteile hätte (siehe USA und UK).
@saistaed: Suche beizeiten die Literatur raus, die ich meinte.